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Alta Via 2 in den Dolomiten, Italien //

eine 6-Tages-Wanderung mit meinem Bruder im Sommer 2020

tag eins.

auf dem weg nach brixen teilten wir unser abteil mit einem alten ehepaar, das nacheinander sechs bananen verputzte und je 1,5l milch direkt aus der packung trank, die sie dann mit raffinierter falttechnik zusammen drückten.
noch ein letztes pistazieneis in der stadt, bevor es los ging in die wildnis. als ich die berge vor uns sah und begriff, wie hoch wir am ersten tag schon steigen würden, meinte jannes trocken: das sind nur die vorberge.
also ging es hoch, hoch, hoch. 1800 höhenmeter direkt am ersten tag. als die sonne unterging, bauten wir im tal unser zelt auf. das licht fiel auf die spitzen der dolomiten und sie leuchteten altrosa. zum abendessen gab es ramen mit beef geschmack und erdnussbutter (quasi pad thai, meinte jannes)

so viele länder treffen sich auf den pfaden in den dolomiten. man hört servus, grüß gott, ciao, hallo, salve. salve, der alte gruß aus rom erinnerte mich an mein lateinbuch in der schule.

tag zwei

5:30. als erstes nach dem aufwachen schiebt sich jannes ein snickers rein.
schokomüsli mit wasser und milchpulver. zelt abbauen und los. jannes zeigte null erschöpfungssymptome, ich hörte ihn kein einziges mal schnaufen. und als ich mittags von einem kurzen nap aufwachte, hing er mit seinem fingerboard an der wäscheleine der rifugio und machte pull-ups.
am abend wieder 500 höhenmeter hoch, am schluss noch ein stück klettersteig. der ist zwar steiler, macht aber mehr spaß, als wie termiten im zickzack stundenlang steile pfade hochzukrabbeln.

wir sprangen in den eiskalten see und mein herz blieb kurz stehen.
in der nacht über uns, neben uns, um uns herum donner und blitze.

tag drei

sonnenaufgang in den bergen. um halb 7 irgendwo am drahtseil auf 3000 meter hochgeklettert. oben sah es aus wie auf dem mond.

das schlimmste am wandern sind die abstiege. wenn die steine unter den füssen wegrutschen, die knie weh tun und der weg nicht enden will. nach 6 stunden machten wir mittagspause und jannes realisierte, dass er powerbank und id auf dem berg vergessen hat. also nahmen wir zwei busse in irgendein dorf, teilten uns auf. er ließ mir zelt da und das meiste gepäck, nahm einen weiteren bus und hitchhikte zurück zum termitenpass vom tag zuvor (tatsächlich sind die wanderwege über die berge schneller als die rumkurverei mit dem bus) und sprintete hoch, fand seine sachen und machte sich wieder auf den weg zurück. die wiedervereinigung feierten wir mit einem pizza. es regnete und wir bauten unser zelt irgendwo hinter den häusern am waldrand auf.

tag vier

um halb 7 standen wir mit rausgestrecktem daumen auf der straße, ein seilbahnoperator nahm uns mit zurück zum trail. die erste halbe stunde latschten wir durch fette kuhfladen. dann ging es wieder hoch. murmeltiere gaben laute warnrufe von sich, als wir durch ihr territorium liefen.

auf dem schnee rutschte ich fast aus, stöcke wären hier praktisch gewesen. ein heranziehendes gewitter saß uns im nacken. wieder nice klettersteigpartien. in der nacht wieder heftige gewitter und hagel, der aufs zelt prasselte. beängstigende situation sowas.

fucking langer abstieg, doch am ende wurden wir mit einem kristallklaren gebirgsbach belohnt. dreimal für 3 sekunden rein gelegt, bevor mein blut zugefroren wäre. wuschen unsere sachen und ließen sie trocknen. das wasser machte müde und doch kämpften wir uns noch weitere fünf stunden einen pass hoch. wasser hatten wir keins, sonst hatte es überall auf dem weg brunnen gegeben. auf der anderen seite der zweite abstieg des tages, ich war so fertig.

nach 13h wandern fuhren wir per anhalter in das nächste dorf, um essen einzukaufen. die cola, die ich kaufte, schmeckte nach wiederbelebung. auf dem rückweg nahm uns ricardo mit, ein italiener, der wenig englisch sprach und uns trotzdem irgendwie verständlich machte, dass er uns zu sich nach hause einladen wollte. so aßen wir mit ihm, seiner frau und vier gleich aussehenden kindern zu abend, sie stellten einen überdimensionalen käselaib auf den tisch, zeigten uns fotos ihrer wanderungen und stoßen mit uns an mit selbstgemachtem schnaps. wir zelteten in ihrem garten und bekamen lunchpakete für den nächsten tag. das war der anstrengendste und beste tag.

dolo55.jpg

tag 5

alles vernebelt. langes mittagsschläfchen auf der wiese neben dem rifugio. dann ging's über einen bergkamm. rechts von uns strahlend blauer himmel, bilderbuchaussichten. links von uns nichts außer neben und donnergrollen im hintergrund. nicht gut, so weit oben zu sein ohne schutz. plötzlich tauchte aus dem nebel vor uns ein wanderer auf, mit einem rucksack, in den er zweimal reingepasst hätte. seine augen waren rot unterlaufen, er empfahl uns eine höhle, um vor dem gewitter schutz zu suchen. wir warteten da also ein bisschen ab, sahen dem nebel zu, wie er sich lichtete und verdichtete. neben uns chillte eine kreuzspinne, die mich ein bisschen nervös machte. aus mangel an ebenen flächen kraxelten wir den kamm runter und zelteten schief, aber relativ geschützt auf einer grasfläche. zum abend essen instant kartoffelpuree und gulasch aus der dose.

tag 6
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der sonnenaufgang war grandios, aber das einzig aufregende am letzten tag. ansonsten wieder überall nebel und ab einem punkt nur noch abstieg, bis mir die schmerzen in knie und zehen tränen in die augen trieben.
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180km, 11 tausend und ein paar hundert höhenmeter in sechs tagen. jannes hatte strategisch klug am ersten tag die idee gedropped, wir könnten ja noch nach venedig, wenn wir schnell genug wären. also gönnten wir uns zur belohnung im regen ein eis (die pizzerien hatten noch zu) und saßen eineinhalb stunden später im zug.

August 2020

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